Rhetorik-Newsletter Ausgabe vom 13.08.2004

Interessierte Freunde der Rhetorik!

„Sprich, damit ich Dich sehe“

Ist Ihnen das auch schon mal passiert?
Sie sitzen in einem Cafe.
Dann entdecken Sie zwei Tische weiter
eine sehr attraktive Dame.
Sie ist wirklich eine Dame:
das Aussehen, die Kleidung,
der Schmuck, alles erlesen und harmonisch.
Hätten Sie da nicht auch gedacht:
hier muss Kontakt geschaffen werden?
Aber dann tippelt eine andere elegante Frau
auf ihren Tisch zu, sie begrüßen sich
und nun beginnt das schöne vis-à-vis zu sprechen.

Ahnen Sie schon was passiert?

Die Stimme, die Sprechweise sind furchtbar.
Ein Quietschton, als hatte man einem Äffchen
auf den Schwanz getreten.
Vielleicht haben Sie schon mal was ähnliches erlebt.
Ein interessant aussehender Mensch,
doch wenn er zu sprechen beginnt
ist alles Interesse weg. Woran liegt das?

Ist unsere Stimme,
unsere Sprechweise schicksalsbezogen?
Typgeprägt wie unsere Nase, Hände
und andere Körperteile?

Die meisten Menschen nehmen es so:

sie sprechen, wie sie es einmal gelernt haben.
Klangvoll, klar,
oder unangenehm und undeutlich.
Der griechische Philosoph Sokrates hat schon gesagt:
„Sprich, damit ich Dich sehe.“
Sicher meinte er damit nicht nur
den Klang der Stimme
und die Sprechweise,
sondern auch das,
wie jemand sich ausdrückt,
was er sagt und worüber er spricht.

Um sprachpsychologisch vorzugehen,
muss man alles berücksichtigen,
was zum gesprochenen Wort gehört

Also die Stimme, Sprechart, Formulierung und Themenwahl.
Achten Sie mal im Theater darauf.
Besonders bei den Klassikern werden Sie es bemerken.
Die verschiedenen Typen
werden auch durch ihre Sprechweise charakterisiert.
Der Geizige von Molière spricht meistens eng,
auch unangenehm.
Der Held bei Schiller oder Shakespeare
hat eine klare Sprechweise.
Die Dichter und Maler haben manches Fundament
für die Psychologie gelegt.

Wir sprechen wie wir sind.

Unsere Sprache ist erst einmal Ausdruck
unserer Persönlichkeit.
Ein Mensch, der weiß, was er will,
wird meistens klarer und harter sprechen.
Probieren Sie es mal aus.
Schlagen Sie mit der Faust auf den Tisch
und sagen Sie konzentriert, energisch:
„Ich will weiterkommen“.
Haben Sie gehört, wie Ihre Sprache dynamischer,
klarer wurde? Und probieren Sie es jetzt mal anders aus.

Lehnen Sie sich bequem zurück,
lassen Sie Ihre Arme schlaff herunterhängen,
strecken Sie Ihre Beine aus als würden Sie liegen,
und nun sagen Sie:

„Ich will versuchen, weiterzukommen.“

Haben Sie eine Veränderung Ihrer Sprechweise festgestellt?

Menschen, die nicht wissen, was sie wollen,
die aus dieser Einstellung heraus
ängstlich, bequem oder gleichgültig sind,
sprechen meistens monoton und undeutlich.

Sie kennen sicher die klassischen
Temperamentsbezeichnungen des Griechen Galenos:

Choleriker und Phlegmatiker, Sanguiniker, Melancholiker.
Diese Einteilung zeigt sich
auch in den verschiedenen Sprechweisen.

Choleriker ist der kraftvolle;
seine Sprechweise ist fest, bestimmt,
mehr laut als leise.

Die melancholische Einstellung
lässt die Stimme etwas dunkler klingen.
Der Melancholiker spricht langsamer,
zieht die Vokale,
das Sprechen wirkt nach einiger Zeit ermüdend.

Der Sanguiniker ist der nervige Typ.
Er spricht schneller, abgehackt,
die Stimme klingt heller.

Und der Phlegmatiker
ist unser gleichgültiger Typ:
langsam, schleppend, spricht er.
Meistens sind dis Endsilben nicht mehr zu verstehen.

Aber das Temperament allein
macht nicht unser Sprechen aus.

Vielleicht haben Sie bei diesen
schon an den Dialekt gedacht.
Also die Färbung unserer Sprache
durch Umweltbeeinflussungen.
Wir werden später mal
in den Temperamentsbeeinflussungen
überlegen was zu tun ist,
um die Sprache ausdrucksvoller
und noch angenehmer zu machen.

Versuchen Sie bis dahin,
mal bewusst zuzuhören,
wann Ihnen das Sprechen
eines Gesprächspartners
interessant, sympathisch oder unangenehm vorkommt.

Achten Sie besonders mal darauf,
wenn es Streit gibt.
Nein, nicht in Ihrer Familie,
nicht selbst mitmachen,
dann ist man kein objektiver Zuhörer.
Aber Sie kennen es ja,
wenn zwei Frauen sich streiten.
Wie hören sich ihre Stimmen an?
Ganz hoch, grell, meistens unangenehm.
Haß, Neid, Jähzorn –
alle unangenehmen Eigenschatten
geben der Stimme
einen unangenehmen Klang.

Güte, Wohlwollen, Harmonie
geben auch der Stimme einen
harmonischen, angenehmen Klang.

Also: viel Harmonie
und im nächsten Newsletter
besprechen wir eine Schönheitskur
für unsere Sprache.