Innere Antreiber kennenlernen: Eine Selbsteinschätzung
Etwa 20.000 Entscheidungen treffen wir täglich – oft blitzschnell und unbewusst. Laut dem Hirnforscher Dr. Ernst Pöppel läuft ein Großteil davon automatisch ab. Doch was beeinflusst unser Denken, Fühlen und Handeln in diesen Situationen? Eine zentrale Rolle spielen die sogenannten inneren Antreiber: unbewusste Steuerungsmuster, die tief in unserer Persönlichkeit verankert sind und uns Orientierung bieten.
Diese inneren Antreiber – Definition: Sie sind wie innere Stimmen, die uns antreiben, leistungsstark, perfekt oder schnell zu sein. Sie helfen uns, Erwartungen zu erfüllen, wirken aber häufig auch belastend. Gerade deshalb lohnt sich ein genauer Blick: Welche Glaubenssätze treiben Sie an? Und wie bewusst gehen Sie mit diesen Mustern um? In diesem Artikel bieten wir Ihnen eine fundierte Erklärung innerer Antreiber, praktische Reflexionsfragen und hilfreiche Alltagsstrategien.
Ursprünglich stammt das Modell aus der Transaktionsanalyse – einer psychologischen Theorie von Eric Berne, die menschliche Kommunikation und Persönlichkeitsstrukturen erklärt. Die Idee: Bereits im frühen Kindesalter übernehmen wir durch elterliche Botschaften, kulturelle Einflüsse und Bezugspersonen bestimmte Verhaltensregeln. Diese verinnerlichten „Programme“ wirken bis ins Erwachsenenalter hinein – als sogenannte Antreiber.
Als Kinder lernen wir schnell, welches Verhalten Liebe und Zuwendung sichert. So entstehen innere Strategien wie: „Ich muss stark sein“, „Ich darf keine Fehler machen“, „Ich muss es allen recht machen“. Diese Muster waren einst sinnvoll, passen aber oft nicht mehr zu den Anforderungen im heutigen Erwachsenenleben. Darum ist es wichtig, diese persönlichen Antreiber zu erkennen, zu hinterfragen und – wo nötig – umzuschreiben.
Wichtig: Es geht nicht darum, die inneren Antreiber aus dem Leben zu verbannen. Vielmehr geht es darum, sie bewusst wahrzunehmen, zu reflektieren und durch ihre „Gegenspieler“, die Erlauber, zu ergänzen. Diese innere Erlauber-Stimme ist meist leiser, aber ebenso vorhanden – und kann gezielt gestärkt werden. Wer also die Antreiber und Erlauber im Sinne der Transaktionsanalyse erkennt, gewinnt Selbststeuerung und emotionale Souveränität zurück.
In der folgenden Übersicht stellen wir Ihnen die typischen Antreibertypen vor – wie „Sei perfekt“, „Beeil dich“ oder „Streng dich an“. Dazu erhalten Sie konkrete Alltagsstrategien, wie Sie diese Muster reflektieren, Erlauber aktivieren und bewusster mit innerem Druck umgehen können.
Wofür Sie Ihre inneren Antreiber sinnvoll nutzen können
Innere Antreiber sind nicht nur Bremsklötze – sie können kraftvolle Ressourcen sein. In stressigen Phasen helfen sie, den Fokus zu halten, Leistung zu bringen oder empathisch auf andere zu reagieren. Besonders in der Kommunikation, im Rhetorik-Training oder bei Präsentationen lassen sich diese Muster reflektiert einsetzen.
- „Sei stark“ kann helfen, in Konfliktsituationen standhaft zu bleiben – wenn er nicht zur Gefühlsblockade wird.
- „Beeil dich“ bringt Tempo in Projekte – solange Pausen und Reflexion mitgedacht werden.
- „Mach es allen recht“ fördert Teamspirit – wenn klare Grenzen gewahrt bleiben.
Das Wissen über Ihre inneren Antreiber hilft Ihnen, Verhaltensmuster zu verstehen, gezielt gegenzusteuern – oder sie bewusst zu nutzen. Gerade im Coaching, in der Teamkommunikation oder im Selbstmanagement sind Antreiber und Erlauber ein bewährtes Werkzeug.
Sei perfekt! (Der Perfektionist)
Die Botschaft:
Fordert ständige Vollkommenheit und andauernde Übererreichung deiner Ziele. Er erlaubt dir nicht, Dinge nur „gut“ oder „ausreichend“ zu erledigen oder auch einfach mal Fünfe gerade sein zu lassen. Fehler sind eine Katastrophe in seinen Augen und deshalb unbedingt zu vermeiden. Andererseits ist er natürlich ein guter Helfer, wenn es darum geht, Aufgaben sorgfältig und genau zu erfüllen.
Sätze, die dein innerer Erlauber diesem Antreiber entgegen halten könnte:
- Ich darf Fehler machen und aus ihnen lernen.
- Manchmal sind 90 % vollkommen ausreichend.
- Ich bin gut genug, so wie ich bin.
- Ich gebe mein Bestes, und das ist genug.
- So, wie ich bin, bin ich liebenswert.
Auch noch wichtig bei diesem Antreiber:
- Achte im Alltag darauf, wie oft du dazu neigst, dich zu rechtfertigen oder mögliche Kritik an dem, was du tust, schon mal vorsorglich vorwegzunehmen, bevor jemand anderes auch nur den Mund aufmachen kann. Versuche, diesen Impuls ab und zu zu unterdrücken.
- Beobachte dich daraufhin, wie oft du selbst andere kritisierst – verbal oder nonverbal. Versuche, auch diesen Impuls öfter mal zu unterdrücken. Wie verändert das deine sozialen Beziehungen?
- Mach einmal in der Woche absichtlich etwas nicht so gut, wie du es eigentlich machen könntest oder brich eine Aufgabe kurz vor der Fertigstellung ab. Halte das Gefühl der Unzulänglichkeit, das dies in dir auslöst, bewusst aus.
Beeil Dich! (Der Hektiker)
Die Botschaft:
Erledige alles schnell was du tust. Er verbietet dir nicht nur das Langsamsein, sondern auch das Verweilen in der Gegenwart. Damit hindert er dich daran, wirklich in Dinge einzutauchen und in gewisser Hinsicht auch, anderen Menschen wirklich nahe zu kommen. Positiv betrachtet ist er auch die Grundlage für Entscheidungsfreude und effizientes Handeln in deinem Leben.
Sätze, die dein innerer Erlauber diesem Antreiber entgegen halten könnte:
- Meine Zeit gehört mir.
- Ich darf mir die Zeit nehme, die ich brauche.
- Ich darf Pausen machen.
- Manches darf auch länger dauern.
Auch noch wichtig bei diesem Antreiber:
- Beobachte dich selbst im Alltag oder nimm dich, während du mit anderen sprichst oder einen Vortrag hältst, einmal auf Tonband oder Video auf. Sprichst du schnell, abgehakt und ohne Punkt und Komma? Versuche, dich bewusst im Sprechtempo zu mäßigen.
- Wie oft verwendest du Ausdrücke, die Eile und Tempo zum Ausdruck bringen – „mal eben rasch“, „so schnell wie möglich“, „gleich noch“ usw.? Wie oft unterbrichst du andere, wenn sie sprechen? Kannst du diese Impulse unterdrücken?
- Schau dir deinen Kalender der letzten Wochen und Monate an. Enthält er auch Leerzeiten, Phasen, in denen keine Einträge vorhanden sind? Gibt es von dir freigehaltene Ausruh- und Entspannungphasen? Oder hüpfst du von einer Tätigkeit zur nächsten und kommst nie zum Stillstand? Probiere aus, was sich verändert, wenn du bewusst Zeiten des Nichtstuns in deinen Tagesablauf einbaust!
- Beobachte dich daraufhin, wie oft du selbst andere kritisierst – verbal oder nonverbal. Versuche, auch diesen Impuls öfter mal zu unterdrücken. Wie verändert das deine sozialen Beziehungen?
- Mach einmal in der Woche absichtlich etwas nicht so gut, wie du es eigentlich machen könntest oder brich eine Aufgabe kurz vor der Fertigstellung ab. Halte das Gefühl der Unzulänglichkeit, das dies in dir auslöst, bewusst aus.
Sei stark! (Das Arbeitstier)
Die Botschaft:
- Du musst unbedingt alles alleine schaffen und durchziehen.
Hilfsbedürftigkeit schafft in seinen Augen Abhängigkeit, und die gilt es um jeden Preis zu vermeiden. Er zwingt dich, die Zähne zusammenzubeißen und deine Gefühle jederzeit unter Kontrolle zu halten, um dir ja keine Blöße zu geben. Sein Plus: er schenkt dir viel Kraft und Vorsicht.
Sätze, die dein innerer Erlauber diesem Antreiber entgegen halten könnte:
- Ich darf offen sein.
- Ich darf vertrauen.
- Ich darf anderen meine Wünsche mitteilen.
- Ich darf mir Hilfe holen und sie annehmen.
- Gefühle zu zeigen ist erlaubt und ein Zeichen von Stärke.
Auch noch wichtig bei diesem Antreiber:
- Beobachte dich im Alltag mal selbst und registriere bewusst, wie oft du Gefühlsregungen beiseite schiebst oder gewaltsam unterdrückst. Versuche, wenigstens ab und zu etwas von diesen Gefühlen nach außen dringen zu lassen.
- Bitte einmal in der Woche jemanden um Hilfe bei einer Tätigkeit, die du eigentlich auch alleine erledigen könntest.
- Lächle doch einfach öfter mal ohne konkreten Anlass!
Streng Dich an! (Der Kraftpotz)
Die Botschaft:
- Nur das, was mit viel Mühe und Schweiß errungen wurde, ist wertvoll und hat Anerkennung verdient. Er feuert dich an, auf keinen Fall nachzulassen in deinen Bemühungen oder vorzeitig aufzugeben. Unter seinem Einfluss darfst du dich weder gehen lassen noch die Früchte deiner Arbeit genießen. Sein positiver Aspekt: er ist die Wurzel deines außergewöhnlichen Beharrungs- und Durchhaltevermögens.
Sätze, die dein innerer Erlauber diesem Antreiber entgegen halten könnte:
- Meine Kraft gehört mir.
- Ich darf mir helfen lassen.
- Ich darf, was ich tue, gelassen, lustvoll und locker tun und vollenden.
- Auch was leicht geht und Freude macht, ist wertvoll.
- Ich darf mich über Erreichtes freuen und ausruhen.
Auch noch wichtig bei diesem Antreiber:
- Hör dir im Alltag öfter einmal selbst zu. Wie oft verwendest du Ausdrücke wie: „Wenn ich mir Mühe gebe …“, „Ich könnte es versuchen …“, „Das wird schwierig, aber …“ und dergleichen? Frag dich, was du mit ihnen bei deinem Gegenüber erreichen willst und ob du sie auch weglassen könntest.
- Überprüfe deine Ziele nach der SMART-Methode. Vor allem der Aspekt „realistisch“ ist dabei wichtig für dich!
- Bitte zweimal in der Woche eine Person deiner Wahl um Hilfe bei einer Aufgabe, die du eigentlich auch allein erledigen könntest.
Mach es allen recht! Sei gefällig! (Everybodys Darling)
Botschaft:
- Alle anderen sind immer wichtiger als du selbst. Mehr noch: Er flüstert dir ein, dass es in deiner Verantwortung liegt, dass sich alle anderen wohlfühlen. Er verbietet dir, dich angemessen um deine eigenen Bedürfnisse und Wünsche zu kümmern. Im positiven Sinne hilft er dir, gute Beziehungen zu anderen zu pflegen und gut für andere zu sorgen.
Sätze, die dein innerer Erlauber diesem Antreiber entgegen halten könnte:
- Ich darf meine Bedürfnisse und Standpunkte ernst nehmen.
- Ich bin ok, auch wenn jemand unzufrieden mit mir ist. Davon geht die Welt nicht unter.
- Ich darf es auch mir selbst recht machen.
- Ich nehme Rücksicht auf mich und auf die anderen.
Auch noch wichtig bei diesem Antreiber:
- Beobachte dich im Alltag einmal selbst, während du mit anderen im Gespräch bist. Wie häufig nickst du, lächelst zustimmend oder machst andere, dein Gegenüber bestätigende Gesten? Kannst du diese Impulse ab und zu versuchsweise unterdrücken
- Achte mal verstärkt auf die Art, wie du dich ausdrückst. Wie oft verwendest du Fragesätze, wenn du eigentlich Vorschläge machen oder deine Meinung sagen möchtest? Also beispielsweise: „Sollen wir heute nicht mal ins Café am Markt gehen?“ statt „Lass uns doch heute mal ins Café am Markt gehen!“? Wie oft schwächst du das, was du sagst, noch im Satz ab, indem du Floskeln wie „ein Stück weit ist es ja so, dass …“ oder „möglicherweise irre ich mich ja, aber ich denke …“ benutzt? Versuche, ab und zu direkt zu sagen, was du möchtest.
- Bleib in der nächsten Gruppensituation, in der der Leiter eine Frage in den Raum wirft und sich unbehagliches Schweigen breit macht, still! Warte, bis ein anderer sich als erster zu Wort meldet.
- Lehne einmal in der Woche eine Bitte von jemandem ab, obwohl du sie auch erfüllen könntest, wenn du wolltest.
- Halte dreimal am Tag kurz inne und frage dich: Wenn es jetzt nur nach mir gehen würde – würde ich mit dem weitermachen, was ich gerade tue?
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Wer diesen Artikel verfasst hat
Der Artikel wurde von Sven Hochreiter verfasst. Er ist Geschäftsführer und Teil des Trainerteam des momentum – Institut für Rhetorik und Kommunikation. Unser Team besteht aus zertifizierten TrainerInnen mit langjähriger Praxis.
Die Autor:innen vereinen wissenschaftliche Fundierung mit praxisnaher Anwendung und bringen umfangreiche Erfahrung aus den Bereichen Rhetorik, Kommunikation, Präsentation, Psychologie und Führung mit.
Unsere Inhalte verbinden bewährte Kommunikationsprinzipien mit aktuellem Wissen – klar erklärt, praxisnah aufbereitet und direkt anwendbar.