Wortschatz erweitern: Leicht umsetzbare Übungen und Methoden für einen größeren aktiven Wortschatz

Wortschatz erweitern: Warum sollten wir das überhaupt tun?

Um eine knappe Alltagskommunikation in einem fremden Land meistern zu können, reicht ein Vokabular von ca. 1.000 Wörtern als Grundwortschatz. Im Durchschnitt verwenden wir als Muttersprachler bis zu 16.000 Wörter in unserem aktiven Wortschatz. Die Anzahl der Wörter, die wir zwar nicht nutzen, sehr wohl aber verstehen, beläuft sich auf ca. 50.000 Wörter (passiver Wortschatz). Dabei hat die deutsche Sprache so viel für uns Sprechenden im Angebot: Die Gesamtgröße des deutschen Vokabulars wird auf ca. 300.000 geschätzt.

Es liegt auf der Hand, dass ein großer Wortschatz über mehr Sprachmacht und Sprachwirkung verhilft und das rhetorische Potential des Sprechenden vervielfacht. Wenn wir unseren Grundwortschatz erweitern und über ein umfangreiches Vokabular verfügen, sprechen wir präziser und differenzierter, überzeugender und gewinnender.

Das psychologische Gesetz der abnehmenden Reizwirkung sagt: „Ein Reiz nimmt bei ständiger Wiederholung an Wirkung ab“. Das dritte Glas Wasser schmeckt dem Durstenden weit weniger als das erste. Dieses Gesetz gilt nicht nur in Leben, Liebe, Kunst und Leidenschaft, sondern genauso im Redestil.

Je mehr Vokabular wir aktiv zur Verfügung haben, umso leichter fällt uns der Perspektivenwechsel in der alltäglichen Überzeugungsarbeit: Wie spricht mein Gegenüber? Welche Sprachbilder sind für ihn wichtig, welche nicht? Und auch für das eigene Denk-Erleben ist ein differenzierter Wortschatz hilfreich: Wenn wir davon ausgehen, dass Sprache unsere Gedanken filtert und „übersetzt“, ist für bestimmte kognitive Leistungen mit hohem Abstraktionslevel ein differenzierter Sprachschatz Voraussetzung.

Wortschatz erweitern: Wie geht das?

Nehmen Sie die Aufgabe „persönliche Wortschatzerweiterung“ als ein Langzeit-Projekt. Keiner wird Ihnen sagen können, wann Sie die Arbeit an Ihrem Sprach-Muskel wieder einstellen können. Weil Sie fertig trainiert haben. Ganz bewusst finden Sie an dieser Stelle auch Wörter wie „Aufgabe, Arbeit…“ denn genau das ist es: Training und Arbeit. Manchmal etwas unbequem, an einigen Tagen zeitintensiv, vielleicht sogar lästig. Doch einmal begonnen, werden Sie nach und nach merken, wie Ihr neues Wort-Bewusstsein auch Wirkung auf Ihr Selbst-Bewusstsein hat.

Sie können die folgenden Tipps und Anregungen intuitiv anwenden, d.h. immer üben, wenn es Ihnen gerade einfällt, wenn die Zeit es zulässt oder Sie mit Menschen im Austausch sind, die Sie gerne bei Ihrer Schatz-Suche unterstützen. Besser ist es, Sie gehen Ihr persönliches Projekt planvoll an, indem Sie sich eine Literaturliste zusammenstellen, Zeiten für Lektüre einplanen, einen vertrauensvollen Lern-Partner ansprechen etc.

Vertiefen Sie Ihren aktiven Umgang mit dem Wort in einem professionellen Rhetorik-Seminar oder -Training. Hier lernen Sie, Ihren Worten mehr Wirkung zu verleihen und zielorientiert zu sprechen.

Thumbs-up Thumbs-up

PROFI Trainer Tipp

Neues Denken beginnt mit neuen Worten

Es wird geschätzt, dass ein Mensch durchschnittlich zwischen 60.000 und 80.000 Gedanken pro Tag hat. Studien zeigen, dass ein Großteil dieser Gedanken sich wiederholt. Auch liest sich in der Literatur, dass der durchschnittliche Mensch achtmal mehr negative Gedanken hat als positive. Diese Zahlen sind zwar nicht wissenschaftlich valide belegt, geben uns aber einen eindrücklichen Hinweis, dass unsere Gedanken sehr wirkmächtig sind. Von Marc Aurel stammt das Zitat „Auf die Dauer der Zeit nimmt die Seele die Farbe der Gedanken an“.

Jetzt stellt sich uns die Frage: Wie können wir Gedankenspiralen verlassen und Neues denken, wenn wir immer dieselben Wörter verwenden? Statt auf unseren massiv großen passiven Wortschatz zurückzugreifen, immer nur die Worte nutzen, die wir immer schon nutzen. Schaffen wir es, auf neue, selten benutzte Worte zurückzugreifen, haben wir auch die Chance, neue Dinge zu denken. Darum empfehle ich als Rhetorik-Trainerin Ihnen dringend, aktiv die persönliche Wortschatzerweiterung voranzutreiben. Denn neues Denken beginnt mit neuen Worten. „Loss mer jet donn!“

 

Wortschatz erweitern: Übungen

Übung I: Synonyme nutzen
Werden Sie zum Wortsammler. Finden Sie Alternativen zu Ihren abgenutzten Standard-Vokabeln. Sie essen also. Aha. Oder was machen Sie möglicherweise noch: Schlingen, mampfen, genießen, sich einverleiben, speisen, zu sich nehmen, knabbern, sich etwas reinziehen, naschen, schnabulieren, vertilgen, hineinstopfen….Überlegen Sie, welche andere Atmosphäre Sie entstehen lassen können, nur weil Sie ein anderes Verb verwenden.
So können Sie recht schnell Ihren persönlichen Grundwortschatz erweitern.
Und genauso wie es wenig nutzt, Muskelmasse aufzubauen, indem man sich im Internet Fitness-Videos anschaut, ist es wenig hilfreich, die Liste der sinngleichen Wörter online zu suchen. Gehen Sie in eigenen Gedankenkammern spazieren und schreiben Sie Ihre gefundenen Alternativen auf. Wenn Sie an dem Punkt sind, wo Ihnen trotz vielem Grübeln nichts mehr einfällt, dann erst dürfen Sie online nachschauen und ergänzen.

Übung II: Wortspiele
Im spielerischen Umgang mit dem Wort fällt ganz nebenher noch eine Erweiterung unseres Vokabulars ab. Lösen Sie Kreuzworträtsel, spielen Sie Scrabble, beantworten Sie kleine Wort-Aufgaben: Wie viele Gewürze mit 8 Buchstaben fallen Ihnen ein? Wie beschreiben Sie Ihren Nachbarn? Abergläubisch, besorgt, charmant, dämlich, einfältig,…… Wie heißt das Gegenteil von müßig? Gegenteil von ruppig?

Übung III: Lesen, lesen, laut lesen!
Sachbuch, Biografie, Roman: Das ist egal, Hauptsache Sie wechseln auch mal das Genre. (Als Liebhaber historischer Romane werden Sie bald sehr schnell mit dieser Sprachwelt vertraut. Damit Sie nicht zu stark in der Welt von Wams, Harnisch und Talern bleiben, wechseln Sie ruhig einmal). Im Idealfall lesen Sie sich in die verschiedensten Themengebiete ein. Lesen Sie sich die Texte selber laut vor.

Übung IV: Die magische Drei: Drei Wörter pro Tag
Wenn Sie bei Ihrer Lektüre oder in einem Gespräch über ein Wort stolpern, das Sie spontan im Bereich „Kenne ich, nutze ich nie“ verorten (also Ihr passiver Wortschatz angesprochen ist), dann schreiben Sie sich dieses Wort zusammen mit zwei weiteren auf einen Notizzettel. Nehmen Sie diesen Zettel in Ihren Alltag mit und nehmen Sie sich vor, im Laufe des Tages oder in einem konkreten Gespräch diese drei Wörter an geeigneter Stelle zu sagen. Lassen Sie Ihre drei Wörter lebendig werden, indem Sie sie aussprechen, auf die Tonspur bringen. Und am Abend kontrollieren Sie Ihren Notizzettel: Alle drei Wörter ausgesprochen?

Übung V: Umformulieren
Hemmingway war für seine kurzen Sätze berühmt. Thomas Mann für seine langen. Beide Nobelpreisträger schätzten sich trotzdem. Versuchen Sie, einen kurzen Text, einen Satz umzuformulieren: Einmal sprechen Sie den gleichen Inhalt in einem Hemmingway- und einem Mann-Satz.

Übung VI: Anspruchsvolle Texte zusammenfassen
Suchen Sie sich ganz bewusst Texte aus, die Sie evtl. schwer verständlich oder etwas sperrig empfinden. Und nun „übersetzen“ Sie die Kernaussage des Textes in Ihre Worte. Sprechen Sie Ihre Zusammenfassung laut zu sich selber – besser noch zu einem Gesprächspartner. So erhalten Sie Feedback. Verständlich ausgedrückt? Fehlt etwas?

Übung VII: Sprechen Sie präzise!
Die Hilfsverben „haben“, „sein“ und „werden“ vereinfachen die Alltagssprache, nehmen ihr leider auch die Ausdruckskraft. Polieren Sie Ihre Sprache und präzisieren Sie sie, indem Sie möglichst wenig dieser Hilfsverben nutzen.

Übung VIII: Lernen am Modell
Kennen Sie auch so einen Menschen, dem Sie wahnsinnig gerne zuhören und der über einen großen Wortschatz verfügt? Dem Sie gebannt an den Lippen hängen, weil Sie so viel Spaß an seiner/ihrer Wortwahl haben? Bei denen Sie gedanklich die gesprochenen Sätze wiederholen, weil sie so geistreich formuliert sind? Ja? Dann freuen Sie sich im ersten Schritt und im zweiten Schritt schreiben Sie mit: Ein besonderes Wort, eine präzise Formulierung, einen klugen Satz. Wichtig ist, es dabei nicht zu belassen, sondern bei nächster Gelegenheit die so gefundenen Wörter anzuwenden. Nicht einmal, sondern ruhig mehrmals. So verfestigt sich das neue Wort.

Wortschatz verbessern: Wozu eigentlich?

Worte tragen Gewicht und Stärke. Sie erzeugen Freude und Stimmungen. Sie sind Zauber und Magie zugleich. Wenn wir mit einem gezielten Training unseren Wortschatz erweitern, erweitern wir automatisch auch unser Denkvermögen. Wenn wir flexibler denken und sprechen, werden wir automatisch auch flexibler handeln können. Grundlage hierfür ist ein neues Verständnis für unser eigenes Wort-Bewusstsein. Indem wir unsere eigenen Sprachmuster aufdecken.

Hören Sie sich doch einmal selber zu. Lauschen Sie sich selbst in einem lockeren Gespräch unter Freunden und Nachbarn oder in einem zähen Meeting unter Kollegen. Und horchen Sie einmal aufmerksam nach innen, wenn „es“ in Ihnen spricht, Sie gerade einen inneren Dialog führen. Welche sprachlichen Muster nutzen Sie gerne? Wie viele „Weichmacher“ (eigentlich, vielleicht, schon, irgendwie) fallen Ihnen auf? In welchen Sprachwelten bewegen Sie sich?

Neurolinguisten haben die sogenannte „Framing-Theorie“ entwickelt. Um Sprachbilder zu begreifen, sucht unser Gehirn nach einem Deutungsrahmen (= Frame), in den es die Wortmetaphern zuordnen kann. Dabei aktiviert das Gehirn Erfahrungen und abgespeichertes Wissen (das können Gefühlsregungen, Gerüche, visuelle Erinnerungen sein). Die Assoziationen, die dabei entstehen, können unser Denken beeinflussen.
Diese Sensibilisierung für die Macht der Sprache hat Einzug gehalten in unseren sprachlichen Alltag:
Krankenhaus – –  Gesundheitszentrum
Problem – – Aufgabe ist…
Betreuungsgeld – – Herdprämie
Lehrling – – Auszubildender

Die Idee dahinter: Positive Sprachbilder erzeugen positive Bewertungen. Und vice versa. Wenn wir an unserem Wortschatz arbeiten, werden wir schneller und leichter neue sprachliche Bilder finden und diese ganz flexibel und situationsgerecht in unseren kommunikativen Alltag einsetzen können.

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Wer diesen Artikel verfasst hat

Der Artikel wurde vom Clara v. Sydow verfasst. Sie ist Geschäftsführerin und  Teil des Trainerteams des momentum – Institut für Rhetorik und Kommunikation. Unser Team besteht aus zertifizierten TrainerInnen mit langjähriger Praxis.
Die Autor:innen vereinen wissenschaftliche Fundierung mit praxisnaher Anwendung und bringen umfangreiche Erfahrung aus den Bereichen Rhetorik, Kommunikation, Präsentation, Psychologie und Führung mit.

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